DIE ENTSTEHUNG DES ARBEITSKREISES "EUTHANASIE"
Die Direction de la Santé Publique der Französischen Militärregierung stellte kurz nach dem zweiten Weltkrieg eine amtliche Dokumentation nationalsozialistischer "Euthanasie"- Aktionen im Bereich der französischen Besatzungszone zusammen. Unter der Titelfrage, ob die Ermordeten schuldig gewesen seien, wurde diese veröffentlichte. Darin erwähnt wird die im Süden der amerikanischen Besatzungszone gelegene Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch. Seit der Schließung von Grafeneck, so heißt es dort, seien die Anstalten von Wiesloch und Hadamar nicht nur zum Ziel von Verlegungen, sondern auch zum Zentrum der Vernichtung avanciert. Allerdings habe man die Sache z. B. in Wiesloch "diskreter behandelt", indem man die Kranken mittels bestimmter Diätbehandlungen nach und nach zum Skelett habe abmagern lassen, um schließlich mit Giftspritzen den Tod herbeizuführen.
Obwohl die Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch - im Gegensatz zu Hadamar und anderen - keine Tötungsanstalt im engeren Sinne war, stand sie nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes in einem verheerenden Ruf. Das Krankenhaus und seine Mitarbeiter sahen sich mit hasserfüllten Angriffen aus der Bevölkerung konfrontiert. Vereinzelte Prozesse, insbesondere jener gegen den von der Berliner Zentrale nach Wiesloch beorderten Dr. Schreck, wirbelten einigen Staub auf. Wenig später aber senkte sich über diese schrecklichen Ereignisse ein dichter Mantel des Schweigens, Vergessens und Verdrängens.
... AUS DEM VORWORT DER SCHRIFTENREIHE
"Erst Ende Februar 1980, zum 40. Jahrestag des erstmaligen Abtransports von 42 psychisch kranken Männern und Frauen in die Tötungsanstalt Grafeneck, versammelten sich Mitarbeiter*innen des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Wiesloch. Gemeinsam mit kirchlichen Gemeindemitglieder*innen und den Bürger*innen aus Stadt und Umgebung trafen sie sich zu einer Gedenkfeier, in deren Verlauf ein schlichtes Holzkreuz zur Erinnerung an die Opfer der "Aktion Gnadentod" aufgerichtet wurde. Auch der 50. Jahrestag wurde mit einer Gedenkfeier begangen, die nunmehr etwas breiteren Wiederhall fand. Außerdem widmete sich Dr. Franz Peschke in seiner Dissertation über die in Wiesloch untergebrachten "displaced persons" einigen Teilaspekten des nationalsozialistischen Umgangs mit Randgruppen.
Insgesamt war jedoch die Bereitschaft, sich eingehender mit der Wieslocher Anstaltsgeschichte während der nationalsozialistischen Willkürherrschaft auseinanderzusetzen, im Vergleich zu anderen psychiatrischen Einrichtungen, bemerkenswert gering. So konnte noch 1991 im "Heimatgeschichtlichen Wegweiser zu den Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945" zu Recht festgestellt werden, dass die Rolle der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch im "Euthanasie"-Mordprogramm bisher unzureichend erforscht sei.
Im Bewusstsein dieses schmerzlichen Defizits bildete sich im Jahr 1980 eine Arbeitsgruppe von Mitarbeiter*innen verschiedener Berufe, die es sich zur Aufgabe machte, die nationalsozialistische Vergangenheit des PLK Wiesloch aufzuhellen. Neben einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit mit vielbeachteten Ausstellungen, Vorträgen und Kulturveranstaltungen hat sich die Arbeitsgruppe das Ziel gesetzt, ein dauerhaftes Mahnmal für die Wieslocher Opfer der nationalsozialistischen Massenmorde zu errichten.
Inzwischen fand ein bundesweiter Ideenwettbewerb statt, an dem sich 73 Künstler*innen mit rund 90 Wettbewerbsbeiträgen beteiligten. Am 7. Juni 1991 traf die Jury, an der prominente Kunstschaffende und Sachverständige, aber auch zwei Mitarbeiter und eine betroffene Langzeitpatientin des PLK Wiesloch teilnahmen, ihre Entscheidung. Leider lässt die Realisierung des schließlich ausgewählten, prämierten Entwurfes vermutlich noch Jahre auf sich warten, da sich trotz vielfältiger und intensiver Bemühungen keine tragfähige Finanzierung abzeichnet.
Obwohl die Archive und Bibliotheken ihre Materialien mittlerweile bereitwilliger zur Verfügung stellen als früher, geht auch die Sichtung, Aufarbeitung und Wertung der lückenhaften, aber insgesamt doch reichlichen Quellen nur mühsam voran. Dies liegt daran, dass die Mitglieder*innen des Arbeitskreises in ihrer täglichen, klinischpsychiatrischen Tätigkeit aufgehen und kaum Zeit und Kraft finden, sich dieser zusätzlichen, emotional sehr belastenden Aufgabe zu widmen. Nur selten gelingt es, Außenstehende für eine kontinuierliche Mitarbeit zu gewinnen.
Eine Ausnahme bildete Klaus Billmaier, Studierender der politischen Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Mannheim, der bereit war, die Selektion der "Unbrauchbaren" am Beispiel der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch zum Thema seiner Diplomarbeit zu machen.
Im ersten Band einer kleinen Schriftenreihe werden neben einer kurzen, allgemeinen Einführung durch den Diplom-Psychologen Herrn Jörg Petry jene Zweidrittel der Diplomarbeit von Herrn Billmaier veröffentlicht, die sich dem nationalsozialistischen Alltag der Wieslocher Heil- und Pflegeanstalt widmen. Es bestehen gute Aussichten, schon bald einen zweiten Band folgen zu lassen.
Den Teilnehmenden des Arbeitskreises und Herrn Billmaier sei an dieser Stelle für ihr Engagement und der Verwaltungsleitung des PLK Wiesloch für die Bereitschaft, Drucklegung und Verbreitung dieser Schriftenreihe zu ermöglichen, herzlich gedankt.
So wenig populär dies sein mag: es bleibt uns keine andere Wahl, als auch die dunklen Seiten unserer Geschichte aufzudecken und an die Gräueltaten der Vergangenheit zu erinnern und zu verarbeiten, wenn wir die Gegenwart und Zukunft unserer psychiatrischen Versorgung weniger gefährdet und glaubwürdig gestalten wollen."
Wiesloch, am 21. April 1992
Dr. Hans Dieter Middelhoff
Geschäftsführender Ärztlicher Direktor
Das Mahnmal der Stuttgarter Künstlerin Susanne Zetzmann zum Gedenken an die Opfer der Euthanasieaktion T4 steht heute in unmittelbarer Nähe des Zentralgebäudes.
Es wurde am 22.4.1994 von Dr. Hans Dieter Middelhoff offiziell eingeweiht.