Ziel dieser Ambulanz ist es u.a., Menschen mit russlanddeutscher oder russischer Herkunft - trotz noch bestehender kultureller und sprachlicher Barrieren - eine hochwertige psychiatrische Diagnostik und Behandlung anbieten zu können. Migranten gemeinsam ist die Erfahrung von existentieller Unsicherheit, von Fremdheit, von Unverständnis und Stigmatisierung. Sprachbarrieren und unterschiedliche Erfahrungshintergründe erschweren oft die Teilhabe an Bildung, kulturellem Leben und der Gesundheitsversorgung.
- Die Sprachbarriere, insbesondere Schwierigkeiten in der deutschsprachigen Schilderung psychischer Leiden und emotionaler Zustände.
- Unzureichendes Wissen über das deutsche Versorgungssystem für psychische Leiden.
- Ein Krankheitsverständnis, welches oft wenig kompatibel ist zu den biopsychosozialen Störungskonzepten
- Unterschiedliche Erwartungen an die Arzt-Patientenbeziehung
- Angst vor Stigmatisierung und Schamgefühle
Innerhalb der russlanddeutschen und russischstämmigen Patientengruppe befinden sich in erster Linie Menschen, die in den späten 1980er Jahren und in den 1990er Jahren mit ihren Familien als Spätaussiedler nach Deutschland migrierten. Die Einwanderergeneration ist biographisch überwiegend geprägt durch die nachstalinistische Sowjetunion. Innerhalb dieser Gruppe oft Totalitarismuserfahrener Menschen finden sich grob unterteilt folgende Untergruppen:
- Russlanddeutsche, deren Vorfahren sich zu einem großen Teil bereits im 17. und 18. Jahrhundert in Russland ansiedelten, bis 1941 zu einem guten Teil in der Wolgaregion der Sowjetunion (UDSSR) lebten und dann vorwiegend nach Sibrien, an den Ural und nach Kasachstan deportiert und neu angesiedelt wurden.
- Russischstämmige, welche als Angehörige (insbesondere Ehepartner) dieser sogenannten „Russlanddeutschen“ nach Deutschland migrierten.
- Junge Erwachsene mit russlanddeutschem Migrationshintergrund. Diese wurden meist bereits in Deutschland geboren oder migrierten bereits als Kleinkinder zusammen mit ihren Eltern nach Deutschland, erwarben ihre schulische Bildung also überwiegend oder vollständig im deutschen Schulsystem.
Im Rahmen der Psychiatrischen Fachambulanz des Zentrums für Psychische Gesundheit Neckar-Odenwald können Patienten mit russlanddeutschem Erfahrungshintergrund bei Bedarf migrationssensibel russisch – oder deutschsprachig behandelt werden. „Mein eigener russlanddeutscher Erfahrungshintergrund hilft mir, diese Patienten dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Oft ermöglicht erst der Gebrauch der russischen Sprache den Zugang zur Gefühlswelt dieser Patienten,“ berichtet Frau Valentina Eberle, Fachärztin für Psychiatrie, welche dieses Spezialangebot am Standort Mosbach initiiert und aufgebaut hat.
Zwischenzeitlich werden knapp 50 russlanddeutsche Patienten pro Quartal in der Fachambulanz in Mosbach behandelt. Zum großen Teil handelt es sich um Patienten mit depressiven Störungen, aber auch Patienten mit Angststörungen, somatoformen Störungen und Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis. Komorbidität mit Suchterkrankungen besteht in Einzelfällen, jedoch nicht häufiger als in der Gesamtmenge der allgemeinpsychiatrischen, ambulant behandelten Patienten. Die Möglichkeit sowohl auf russisch, als auch auf deutsch mit den Patienten zu kommunizieren, sowie ihre eigenen biographischen Erfahrungen ermöglichen es Frau Eberle, häufig schnell Vertrauen zu den Patienten herzustellen und die für Diagnose und Behandlung wesentlichen anamnestischen Daten zu erheben. Da die Familie als Sicherheit gebende „mentale Dorfgemeinschaft“ meist eine sehr große Rolle spielt, ist es für die langfristige Herstellung einer guten Arzt-Patientenbeziehung gerade bei russlanddeutschen Patienten besonders unerlässlich, die Bezugspersonen frühzeitig in die Diagnosefindung und Therapieplanung miteinzubeziehen.
In der Spezialsprechstunde in der Psychiatrischen Fachambulanz in Mosbach erhält diese Patientengruppe deshalb regelhaft eine intensive, kultursensible Psychoedukation. Da häufig zusätzliche körperliche Erkrankungen bestehen, welche von den Patienten ebenfalls nur unzureichend verstanden werden, ist es zur Herstellung einer nachhaltigen Compliance und Adhärenz weiterhin häufig notwendig, über mögliche Missverständnisse zwischen Behandlern und den Patienten speziell auch in diesem Bereich aufzuklären. Durch die bundesweite Vernetzung in der Deutsch-Russischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik e.V. (DRG) fließen neue Erkenntnisse und Erfahrungen in diesem spezialisierten Arbeitsfeld rasch in die tägliche Ambulanzarbeit ein und es bestehen Möglichkeiten, sich mit Kolleginnen und Kollegen mit ähnlichem Tätigkeitsschwerpunkt auszutauschen. Für die etwa 11.000 russlanddeutschen Spätaussiedler im Neckar-Odenwald-Kreis konnte mit diesem Spezialangebot eine Versorgungslücke geschlossen werden. Durch die Integration in das multiprofessionelle Team der Fachambulanz am zfpG in Mosbach ist gewährleistet, dass alle Mitarbeiter herkunfts- und berufsübergreifend von den neuen kultursensiblen Kompetenzen im Umgang mit russlanddeutschen Patienten und deren Angehörigen profitieren.